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90 Personen vor Ort und 200 Online-Teilnehmer verfolgten, wie Fachleute aus Forschung, Unternehmen, Start-ups und Praxis über den aktuellen Stand von Vertical Farming informierten und dessen Potenzial am Markt diskutierten. Claudia Luksch, Geschäftsführerin des HEF, ist von den Perspektiven überzeugt : „Durch den Anbau von Pflanzen in übereinanderstehenden Etagen eines Hochhauses, einer Halle oder auch nur eines Containers wird der verfügbare Raum und auch die zur Verfügung stehenden Ressourcen möglichst effizient genutzt. Gleichzeitig ermöglicht Vertical Farming eine Produktion, die von äußeren Einflüssen entkoppelt ist und künftig einen entscheidenden Beitrag zur umwelt- und klimafreundliche Lebensmittelproduktion am Ort des Konsums beisteuern kann. Noch ist allerdings viel zu tun: Die Aufgabe der universitären Forschung ist es, die bestehenden Wissenslücken des Vertical Farmings bis zur Marktreife zu schließen“.
Chancen und Möglichkeiten des Indoor-Anbausystems
Prof. Senthold Asseng, Direktor des HEF mit Forschungsschwerpunkt Vertical Farming schilderte die Möglichkeiten des Indoor-Anbausystems. Sie reicht vom Anbau in einem kleinen Kasten bis hin zu industriellen Werkhallen mit mehreren Tausend Quadratmetern Fläche, was landwirtschaftliche Flächen einspart. Eine hohe Technisierung, zum Beispiel durch vollautomatisches Transportieren der Pflanzen innerhalb der Räume wie auch Licht- und Bewässerungssysteme, reduziert den Betreiberaufwand auf ein Minimum. In dem geschlossenen und von der Außenwelt abgeschirmten System könnte der Wasserverbrauch um bis zu 90 Prozent verringert und auch auf chemischen Pflanzenschutz idealerweise ganz verzichtet werden. Der Ertrag kann durch optimale Versorgungs- und Wachstumsbedingungen um ein Vielfaches erhöht werden.
Allerdings benötigt Vertical Farming noch sehr viel Energie, was es beispielsweise für den klassischen Getreideanbau zunächst nicht rentabel macht. Auch die Auswirkungen auf die Qualität des Getreides ist derzeit noch offen. Prof. Asseng sieht noch sehr viel Forschungsbedarf, vor allem in der Frage, was das Pflanzenwachstum im Vertical Farming tatsächlich begrenzt. Auch der Einsatz von Energie und dessen Verwertung sei ein wichtiges Forschungsfeld.
Auch wenn die neue Anbaumethode die klassische Ackerlandwirtschaft nicht komplett ersetzen wird, sieht Asseng künftig darin einen wesentlichen Anteil an der Lebensmittelproduktion. Der Praxis bietet die Indoor-Anbaumethode durchaus Chancen. „Wir brauchen die Landwirtinnen und Landwirte, die Vertical Farming für sich nutzen wollen. Sie haben das wichtige Know-how im praktischen Anbau und bringen viel Pflanzensystemerfahrung mit. Daher sollten sie in die Weiterentwicklung der Vertical Farming-Technologien einbezogen werden“, appelliert der Wissenschaftler.
IT-Lösungen für Indoor-Farming
Nicole Thorpe, Inhaberin von Cultinova, einem deutsch-britischen Unternehmen für IT-Lösungen in Indoor-Farming-Systemen, betonte, dass Lebensmittel nachhaltig produziert, sicher, fair und gesund sein sollten. Nur so könne das Ziel Klimaneutralität tatsächlich erreicht werden. Die Technologie habe noch große Entwicklungspotentiale. Gleichzeitig forderte sie weitere Anstrengungen, die Effizienz zu steigern, um Vertical Farming wirtschaftlich werden zu lassen. „Vertical Farming macht nur Sinn, wenn wir damit Geld verdienen, also auch wirtschaftlich nachhaltig sind“. Die Ausweitung der Produktvielfalt sieht sie als wichtigen Erfolgsfaktor. Gute Perspektiven prognostiziert die Expertin vor allem für Proteinpflanzen und Pflanzen zur Nutzung für die Pharmaindustrie.
Bayerischer Salat in Etagen-Gewächshäusern
Jochen Haubner, Gärtnermeister im Gemüse-Anbau aus dem Knoblauchsland Nürnberg setzt Vertical Farming bereits in einem Teilbereich seines Betriebes ein. „Vertical Farming ist trendy, aber in der Praxis muss es nach ein bis zwei Jahren für den Betrieb rentabel sein“, so der Gemüsebauer. Seine Devise ist ein möglichst kosten- und ressourcenschonender Anbau. Dabei muss das System in der Praxis langlebig und leistungsfähig sein. Der Praktiker fordert: „Bei aller Theorie und Forschung muss die Denkweise des Gärtners mit eingebaut werden!“ So sieht er durchaus die Notwendigkeit des Einsatzes von Pflanzenschutzmaßnahmen im Vertical Farming: „Es wird sich immer etwas entwickeln: egal ob Krankheiten oder Schädlinge. Hier stellt sich die Frage: Was ist notwendig, was ist zugelassen, gibt es Hilfsstoffe oder sogar Microorganismen, mit denen man dem Befall entgegnet?“, so Haubner.
Durch Verzahnung von Wissenschaft und Praxis zum Erfolg
Eine hochkarätig besetzte Diskussionsrunde mit Expertinnen und Experten aus Forschung, Unternehmen und Berufsverband verdeutlichte die Voraussetzungen für die erfolgreiche Etablierung von Vertical Farming am Markt. So forderte Prof. Heike Mempel von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf ein Demonstrationsgroßprojekt, das offen für die Vernetzung von Forschung und Industrie sein sollte. Andreas Schmitt von der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) erläuterte, die praxisorientierte Forschung könnte wesentliche Antriebsfeder für Gemüseanbaubetriebe sein, die wirtschaftlich orientiert sind. Derzeit sei Vertical Farming zu weit weg von den Praktikern. Auch Lisa Puschak vom Bayerischen Bauernverband unterstrich, dass der Erfolg eines Anbausystems in der Wirtschaftlichkeit für die Betriebe liegt. Vertical Farming werde nur durch eine starke Kooperation von Forschung und landwirtschaftlichem Innovationswillen in der Praxis gelingen. Alexander Gerfer von der Würth Elektronic eiSos, unterstrich, dass Vertical Farming in der Praxis anwendbar sein muss, wobei die Wissenschaft die Lücken schließen muss, die es in der Umsetzung noch gibt.
Erfolgstories aus der Industrie – Vertical Farming im großen Stil
Vertical Farming ist in der Industrie bereits angekommen. Zwei international agierende Unternehmen berichteten von ihren Erfahrungen. Die Infarm – Indoor farming GmbH präsentiert seine Indoor-Farm als transparenten Gewächsschrank im deutschen Einzelhandel. Kundinnen und Kunden können live zusehen, wie die Produkte wachsen und können diese frisch geerntet kaufen. Dr. Pádraic Flood, Team Lead Crop Genetics, hob Züchtungsfortschritte als entscheidenden Erfolgsfaktor hervor. Eiweiß- und kohlenhydratliefernde Pflanzen sind für die Versorgung der Weltbevölkerung besonders wichtig. Hier gilt es neue Pflanzenvielfalt für das Vertical Farming zu finden. Bei der Suche greift infarm auch auf traditionelle, fast vergessene Kulturpflanzen zurück, wie z.B. die Knollen-Platterbse, die sowohl Eiweiße wie auch Kohlenhydrate liefert, aber auch als Salat genutzt werden kann.
Daniel Lock, Vice President Business Development, stellte das Unternehmen Kalera GmbH vor, das das Münchner Start-up &ever Ende 2021 übernommen hat und weltweit zu einem der führenden Unternehmem im Bereich Vertical Farming gehört. Kalera ist auf die Produktion von „leafy greens“, wie z.B. Spinat, Rucola, Brunnenkresse und Koriander spezialisiert. Täglich wird von einer halben bis vier Tonnen Erntegut pro Anlage erzeugt. Bis zu 20 Meter hohe, voll automatisierte Produktionshallen stehen unter anderem in Kuweit und künftig auch in Singapur.
Wettbewerb Vertical Farming – „Berry“ räumt ab
Auf der Veranstaltung stellten sich fünf Start-ups mit ihren Ideen im Bereich Vertical Farming vor und traten in einem Pitch gegeneinander an. Sie zeigten die enorme Anwendungsbreite von Vertical Farming: Vom Robotereinsatz für die Fruchternte (www.organifarms.de), über vollautomatische Anlagensysteme (www.roko-farming.de), modulare Anlagen per erweiterbaren Containerbau (www.mabewo.com) bis zu einem vertikalen Parkturm, dessen Fassade zu begrünen ist (www.vepa.space). Vergeben wurde der Expert Choice Award von den Referentinnen und Referenten der Veranstaltung, sowie der Public Choice Award, dessen Gewinner von allen Teilnehmenden gewählt wurde. Das Konstanzer Start-up Organifarms überzeugte sowohl Juroren wie auch Teilnehmer und gewann gleich beide Preise. Das Unternehmen aus dem Forschungsbereich Robotik wurde 2019 gegründet und bietet den Ernteroboter „Berry“ für die Erdbeerernte sowie das User Interface und die entsprechende Cloud-Lösung an. Die Gründerin Hannah Brown nahm beide Preise entgegen.